Rubrik: Wissenschaft
Donnerstag, 11. August 2016, 16:59
Steigende Wassertemperaturen und ein verstärkter Nährstoff-Eintrag könnten dazu führen, dass der Bestand des Blasentangs Fucus vesiculosus in der Ostsee in Zukunft deutlich zurückgeht. Dies zeigen Experimente von Meereswissenschaftlerinnen. Die Ergebnisse führen vor Augen, wie wichtig es ist, die Reaktionen von Organismen auf eine Kombination mehrerer Umweltfaktoren zu untersuchen, betonen die Biologinnen in zwei aktuellen Veröffentlichungen. Weil Fucus-Wälder langfristig Nährstoffe speichern und als Kinderstube für ökonomisch wichtige Fischarten wie den Dorsch dienen, könnte ihr Rückgang Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft nach sich ziehen
Wenn an den steinigen Küsten der Ostsee artenreiche Lebensgemeinschaften entstehen, hat der Blasentang Fucus vesiculosus perfekte Basisarbeit geleistet. Indem er Kiesel und Felsen besiedelt, schafft er Lebensräume für viele weitere Arten. Andere Algen wachsen auf dem Blasentang und werden von Schnecken, Meeresasseln und Flohkrebsen abgeweidet. Außerdem leben in den untermeerischen Fucus-Wäldern Krebstiere, Muscheln und räuberische Fische, sowie viele kleinere für das Ökosystem Ostsee wichtige Organismen. Fucus vesiculosus ist einer der Hauptproduzenten organischen Materials in der Ostsee und spielt eine bedeutende Rolle für den Artenreichtum und die Stoffkreisläufe im Küstenmeer. Im Zuge des Klimawandels könnten diese Funktionen auf Grund einer Serie von Reaktionen verloren gehen.
Laut einer Studie von Meeresbiologinnen des GEOMAR Helmholz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und der Universität Rostock addieren sich die bereits bekannten negativen Effekte von lokalen Nährstoffeinträgen mit denen der steigenden Wassertemperaturen so weit auf, dass der Blasentang in der Ostsee stark zurückgehen könnte. „Es ist wichtig, die Auswirkungen einer Kombination globaler und lokaler Umweltfaktoren auf ganze Ökosysteme zu betrachten“, betont Dr. Franziska Julie Werner vom GEOMAR. Sie ist Haupt-Autorin zweier Studien, deren Ergebnisse in den Fachmagazinen „Limnology and Oceanography“ und „Oecologia“ veröffentlicht sind. „Unsere Untersuchungen verdeutlichen außerdem, dass das Nährstoffmanagment der Ostsee weiterhin verbessert werden muss – ein Faktor, der im Gegensatz zum Temperaturanstieg auch durch nationales Management in den Griff zu bekommen sein müsste.“
Blasentang aus der Kieler Förde wird für Experimente in den Benthokosmen vorbereitet, Foto: © Jan Steffen, GEOMAR
Im ersten Experiment beeinflussten die erhöhten CO2-Konzentrationen den Blasentang zu keiner Jahreszeit weder positiv noch negativ. Die erhöhten Temperaturen hatten hingegen einen deutlich negativen Effekt auf das gesamte Fucus-System, insbesondere im Sommer. Die Biomasse des Blasentangs war nach sechs Wochen unter erhöhten Temperaturen im Durchschnitt um die Hälfte geringer als bei Fucus, der unter heutigen Bedingungen gehalten wurde. Das zweite Experiment bestätigte die Beobachtungen. Kam jedoch obendrein ein Überangebot an Nährstoffen hinzu, nahm die Biomasse sogar um 80 Prozent ab. „Die negativen Folgen traten bereits ein, wenn wir die Nährstoffmenge nur ein wenig anhoben“, berichtet Dr. Werner. „Kleinere Algenarten, die auf dem Fucus wuchsen, hatten aufgrund der zusätzlichen Nährstoffe deutlich zugelegt. Schnecken, Asseln und Flohkrebse weideten diese Epiphyten nicht mehr ab, weil sie ihrerseits unter den erhöhten Temperaturen litten. Der Fucus selbst litt sowohl unter der erhöhten Temperatur als auch unter dem verstärkten Überwuchern seiner Oberfläche durch die Epiphyten. Das ist ein doppelt negativer Effekt.“
Die Überdüngung der Küstengewässer gilt als eines der ältesten Umweltprobleme der Ostsee. Bislang haben europäische Richtlinien zum Wassermanagement ihr Ziel eines guten chemischen und ökologischen Zustands nicht vollständig erreicht, argumentieren die Wissenschaftlerinnen. Erklärbar sei dies zum einen dadurch, dass sich das Wasser in der Ostsee vergleichsweise langsam austauscht und Nährstoffe länger im System zirkulieren. Zum anderen sei das Einzugsgebiet der Ostsee durch eine intensive Landwirtschaft geprägt. Überdüngte Felder und intensive Tierhaltung führen weiterhin zu einem Nährstoffüberschuss, der früher oder später im Meer landet. „Mit dem Klimawandel gehen zudem nicht nur veränderte Temperaturen einher, sondern auch veränderte Niederschläge“, erklärt Dr. Werner. „Ein verstärkter Zulauf aus Flüssen durch größere Regenmengen könnte einen erhöhten Eintrag von Nährstoffen aus der industriellen Landwirtschaft in die Küstengewässer der Ostsee mit sich bringen.“Infos: www.geomar.de.
Links zu den Studien: http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/lno.10342/full und http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26566809.
Schlagwörter: Blasentang, Geomar, Klimawandel, Überdüngung
Kurzlink: