Rubrik: Wissenschaft
Samstag, 12. Dezember 2015, 10:44
Die Erwärmung der arktischen Gewässer durch den Klimawandel dürfte künftig zu einer radikalen Veränderung der Meereslebensräume im hohen Norden führen. Das legen Daten aus Langzeitbeobachtungen in der Framstraße nahe, die Forscher des Alfred-Wegener-Institutes (AWI) jetzt ausgewertet haben. Ihre wichtigste Erkenntnis: Es genügt bereits ein vorübergehender Warmwassereinstrom in den Arktischen Ozean, um die Lebensgemeinschaften von der Wasseroberfläche bis hinunter in die Tiefsee grundlegend zu beeinflussen
Experimente im Bereich des „HAUSGARTEN". Vermessung kleinskaliger Strömungsmuster im Bereich sogenannter „drop stones“, Foto: © Alfred-Wegener-Institut/Michael Klages
Die Arktis ist ein ferner und extremer Lebensraum. Doch trotz seiner Abgeschiedenheit wird der vom Menschen beschleunigte globale Klimawandel diese Region in den kommenden Jahren massiv verändern. Seit längerem ist bekannt, dass die Meereisdecke der Arktis durch den Treibhauseffekt schrumpft und sich die Weltmeere langsam erwärmen. Wie die polaren Meereslebewesen darauf reagieren werden, war jedoch lange unklar.
Wissenschaftler des AWI, konnten jetzt anhand einer einzigartigen Langzeitbeobachtung zeigen, dass die arktischen Meereslebensräume im Zuge eines anhaltenden Temperaturanstieges ihr Gesicht radikal verändern könnten. Wie die AWI-Forscher im Fachmagazin „Ecological Indicators“ schreiben, überrascht sie vor allem, dass sich wärmebedingte Veränderungen an der Meeresoberfläche außerordentlich schnell auch auf das Leben in der Tiefsee auswirken.
Um die Veränderungen der Lebensgemeinschaften in den arktischen Gewässern zu erforschen, betreibt das AWI seit 15 Jahren das Meeresobservatorium „HAUSGARTEN“ in der Framstraße, dem Seeweg zwischen Grönland und Spitzbergen. Der „HAUSGARTEN“ besteht aus einem Netzwerk von 21 Einzelstationen, die die AWI-Forscher in jedem Sommer aufsuchen, um Wasser- und Bodenproben zu gewinnen. An ausgewählten Stationen sind ganzjährig Messsysteme und Probensammler verankert, die unter anderem die Wassertemperatur und die Strömung registrieren, regelmäßig Wasser- und Bodenproben nehmen oder Schwebstoffe auffangen, die aus den oberen Wasserschichten zum Meeresboden herabrieseln.
Der Tiefseeroboter „Victor 6000" bei der Arbeit an einer „HAUSGARTEN"-Station in 2.400 Metern Wassertiefe, Foto: © Alfred-Wegener-Institut/Thomas Soltwedel
Für die aktuelle Veröffentlichung haben der AWI-Biologe Thomas Soltwedel und sein Team jetzt die ersten 15 Jahre des „HAUSGARTEN“-Datensatzes ausgewertet. Die Framstraße ist für Thomas Soltwedel und seine Kollegen vor allem deshalb interessant, weil sie die einzige tiefe Verbindung in den Arktischen Ozean darstellt. Hier strömen westlich Spitzbergens Wassermassen aus dem Atlantik in die Arktis hinein. Auf der grönländischen Seite wiederum fließen Wasser und Eisschollen aus dem Arktischen Ozean heraus.
Normalerweise hat das oberflächennahe Wasser, das aus dem Atlantik durch die Framstraße Richtung Norden strömt, eine Durchschnittstemperatur von drei Grad Celsius. Mithilfe ihres Observatoriums konnten die AWI-Forscher jedoch feststellen, dass im Zeitraum von 2005 bis 2008 die Durchschnittstemperatur der einströmenden Wassermassen ein bis zwei Grad Celsius höher lag: „In dieser Zeit flossen große Mengen vergleichsweise warmen Wassers in den Arktischen Ozean. Da die polaren Organsimen an gleichbleibend kalte Bedingungen angepasst sind, kam dieser Wärmeeintrag einem Temperaturschock gleich“, erläutert Thomas Soltwedel.
Polarstern-Besatzungsmitglieder ziehen ein Multinetz an Bord. Es besteht aus fünf Netzen, mit denen die Forscher über fünf verschiedene Horizonte der Wassersäule hauptsächlich Zooplankton fangen, Foto: © Alfred-Wegener-Institut/Sebastian Menze
Entsprechend stark fielen die Reaktionen im Ökosystem aus: „Wir konnten in verschiedenen Lebensgemeinschaften, von den Mikroorganismen über die Algen bis zum Zooplankton, tiefgreifende Veränderungen feststellen. Auffällig war zum Beispiel die Zunahme freischwimmender Flügelschnecken und Flohkrebse, die für gewöhnlich in den gemäßigten und subpolaren Bereichen des Atlantiks vorkommen. Die Zahl der arktischen Flügelschnecken und Flohkrebse nahm hingegen deutlich ab“, berichtet Thomas Soltwedel.
Als außergewöhnlich bezeichnet er auch die Abnahme der kleinen, hartschaligen Kieselalgen. Sie hatten vor dem unerwarteten Warmwassereinstrom etwa 70 Prozent des pflanzlichen Planktons in der Framstraße ausgemacht. Während der Warmphase machte sich aber anstelle der Kieselalgen die Schaumalge Phaeocystis breit. Ein Wandel mit Konsequenzen: „Im Gegensatz zu Kieselalgen verklumpen Schaumalgen leicht und sinken dann geballt schnell bis zum Meeresboden hinab, wo sie als Nahrungsangebot zur Verfügung stehen. Der plötzliche Futterregen aber führte zu starken Änderungen des Lebens in der Tiefsee. So nahm zum Beispiel die Besiedlungsdichte der bodenbewohnenden Organismen merklich zu“, erläutert der AWI-Biologe.
Zwei Tiefsee-Lander, die am „HAUSGARTEN"-Langzeitobservatorium eingesetzt werden sollen, warten an Bord der „Polarstern" auf ihren Einsatz, Foto: © Alfred-Wegener-Institut/Sebastian Menze
Wie sich all diese Veränderungen künftig auf das gesamte arktische Nahrungsnetz auswirken werden, kann Thomas Soltwedel heute noch nicht sagen: „Uns beunruhigt ganz einfach, dass die Veränderungen derart rasch erfolgen und so gravierend sind.“
Seitdem der Warmwassereinstrom abgeebbt ist, hat sich die Wassertemperatur in der Framstraße stabilisiert – sie liegt allerdings noch immer leicht über dem Durchschnittswert von vor 2005. Die Veränderungen im Ökosystem haben sich jedoch in Teilen manifestiert. So ist die Zahl der Kieselalgen nach wie vor sehr klein. Die Flügelschnecken aus den südlicheren Breiten scheinen sogar in der Framstraße heimisch geworden zu sein. Infos: www.awi.de.
Schlagwörter: Alfred-Wegener-Institut, Arktis, Klimawandel
Kurzlink: